Die Ausplünderung Kameruns durch die deutsche Kolonialmacht

Atlas der Abwesenheit. Kameruns Kulturerbe in Deutschland

von Johannes Vesper

Atlas der Abwesenheit
 
Kameruns Kulturerbe in Deutschland
 
Von Johannes Vesper
 
Die Afrikasammlungen in Paris (Muse Quai Brandy) umfassen 69.000, in London (Britisches Museum) ebenfalls 69.000 und in Berlin (Ethnologische Museum) ca. 75.000 Objekte. Aber allein aus Kamerun finden sich in den Sammlungen von Stuttgart (Lindenmuseum) 8.000, in Berlin und Leipzig je ca. 5.000 Objekte, die während der deutschen Kolonialherrschaft (1884-1916) dem Lande entzogen, besser geraubt wurden, insgesamt ca. 40.000 Objekte in Deutschland. Das ist weltweit der größte Bestand, der den des Museums in Kameruns Hauptstadt (ca. 6.000 Objekte) bei weitem übertrifft. Erst im Zuge der internationalen Restitutionsdiskussion in den letzten Jahren und anläßlich der Rückgabe der Beninbronzen 2022 bemüht man sich in Deutschland darum, die riesigen aus Kamerun abtransportierten, treffender kolonial geraubten Bestände von Waffen, Schmuck, Textilien u.a. transparent zu dokumentieren. Bis dahin sei davon bewußt abgesehen worden um Rückforderungen nicht auszulösen, ist zu lesen.
 
Dabei werden die zahlreichen „Fragmente“ kamerunischer Toter (Knochen, Schädel Zähne) in diesem Werk gar nicht behandelt. Was im Rahmen sogenannter Wissenschaft mit menschlichen Überresten, verschleiernd und schönfärberisch Anthropologika genannt, in Deutschland angestellt wurde, ist nicht das eigentliche Thema dieses Atlasses. Nur im Kapitel 8 schreibt Richard Tsogang Fossi darüber, wie menschliches Haar wohl gewonnen worden ist. Er zitiert aus Kolonialpublikationen von Felix von Luschan, wonach Haartrachten „knapp an der Kopfhaut abgeschnitten und wie Perücken auf naturgetreu bemalte Gipsköpfe gesetzt wurden“. Völlig offen bleibt, in welchem Umfang während der Kolonialzeit mit menschlichen Teilen auch privat im Reich gehandelt wurde.
 

Aufsatzmaske aus dem Gebiet des Cross River gelangte durch den Auftragssammler Adolf Diehl 
in das Linden Museum Stuttgart

Im Beitrag von Yann LeGall wird die Geschichte einer seltenen, bemerkenswert großen Trommel aus dem Rautenstrauchs-Joest-Museum dargestellt, die laut Museumsarchiv ursprünglich „schwer zu haben“ war. Die weiteren Forschungen ergaben, daß das Instrument geraubt worden ist im Rahmen einer Strafexpedition 1895, bei der mehr als 300 Menschen getötet worden sind. Anscheinend bergen die Museumsarchive mit ihren Angaben zur Provenienz der Ausstellungsstücke zahllose Hinweise auf die „oft gewaltsame ….und noch zu wenig bekannte Aneignungsdynamik“. Es wurden 181 sogenannte Strafexpeditionen mit Plünderungen auf dem Gebiet Kameruns ermittelt, bei denen neben anderem Kult- und Kulturgegenstände, Waffen, Elfenbein erbeutet und geraubt und nach Deutschland geschafft wurden. Diese Raubzüge sind tabellarisch dokumentiert mit Angabe der deutschen Museen, der Namen der beteiligten Kolonialoffiziere wie lokaler Herrscher vor Ort. Auch Ärzte, die dabei wohl auch aus wirtschaftlichen Interessen gehandelt haben, werden in Verbindung mit menschlichen Überresten aus Kamerun in deutschen Museen in Verbindung gebracht. Der Arzt Dr. Alfred Mansfeld hatte nach einer „Strafexpedition“ 1908 500 Ethnografica und 300 Zoologica, die zunächst für Hamburg bestimmt waren, wegen eines besseren Preises schließlich nach St. Petersburg verkauft, wo die Objekte heute bei weitem nicht mehr vollständig nachweisbar sind. In einem eigenen Kapitel beschreibt und dokumentiert Richard Tsogang Fossi den Umfang, die Chronologie, die Akteure der „Einverleibung von Kulturgütern aus Kamerun in deutsche öffentliche Museen“. Der Rolle der Mission bei der „Kulturgutverbringung“ nach Deutschland ist ein eigenes Kapitel gewidmet. Im Kapitel „Chaos im Museum“ beschreibt Sebastian-Manés Sprute die völlig unzureichende wie unbefriedigende wissenschaftliche Aufarbeitung und Dokumentation der Sammlungsstücke in den deutschen Museen.
 

Ngonnso 19. Jahrhundert 92x36,5x41 cm, Ethnol. Museum, Staatliche Museen zu Berlin 

„Warum wir Restitution wollen“ erläutert Fogha Mc. Cornilius Refem in seinem Kapitel „Den Tod bejahen, um dem Leben Platz zu machen“ und stellt Ngonnso vor. Diese Führerin wurde zur Urfigur, zur Muttergottheit der Nso, einer Volksgruppe im Nordwesten Kameruns. Die historische Königin starb um 1421. Auf dem Ngonnso-Kulturfestival feiert man sie in Kamerun seit einigen Jahrzehnten. Sie lebt auf Plakaten, T-Shirts und im Innenhof des NSO-Palastes steht eine übergroße (siebenmal größere als die Originalskulptur) Kopie der Statue, deren Original 2022 aus Berlin an Kamerun zurückgegeben wurde. Die Skulptur ist mit zahllosen Häusern der Kaurischnecke überzogen und war 1903 als Teil einer privaten Schenkung von Oberst Kurt von Pavel in das Berliner Museum gelangt. Wie der sich diese Skulptur angeeignet hat, konnte bisher nicht geklärt werden. Als Offizier der Schutztruppe war er an militärischen Aktionen beteiligt, bei denen es z.B. 1901 mehr als 1.000 Tote der Kamerunischen Bevölkerung gegeben hat, die teilweise als menschliche Überreste in deutsche Museen verbracht worden sind. Trotzdem begründete SPK-Präsident Parzinger die Rückgabe erstaunlicherweise nur und vor allem mit der „spirituellen Bedeutung des Objekts für die Herkunftsgesellschaft“. In dem Beitrag „Warum wir Restitution wollen“ bezeichnet Fogha MC Cornilius Refem Völkerkundemuseen als „Leichenhallen für Kulturen“, die „ermordet, verstümmelt“…wurden, jedenfalls ihres kulturellen Erbes beraubt wurden und will die Rückgabe, weil sie es möglich mache, den ungeheuren deutschen Kolonialismus in Kamerun und seine üblen Folgen öffentlich transparent aufzuarbeiten, und es den Nso und Kamerunern erlaubt, sich selbst darzustellen, für sich selbst zu sprechen ihre zerstörte Identität wieder herzustellen.
 

Tangué: 1880er Jahre, Holz, Farben, Metallnägel, 145x7064 cm München Museum Fünf Kontinente
 
Höchst informativ und aufschlußreich ist zu diesem Thema auch der unsägliche Briefwechsel von Universitätsprofessor em. Prince Kum’a Ndumbe III mit dem Münchener Museum Fünf Kontinente über die Restitution eines wunderbaren geschnitzten Schiffschnabels (Tangué), der ursprünglich seinem Großvater gehört hatte.
 
Das umfangreiche und wichtige Werk mit weiterführender Literatur, Angabe zu Archivquellen, Informationen zu Objektbeschreibungen, zahlreichen Abbildungen und eigenem Bildheft zu ausgewählten Objekten aus Kamerun in deutschen Museen, kritischen Biografien sowie einem ausführlichen Register zeigt und dokumentiert die kamerunischen Objekten in deutschen Museen als ein Phantom Kameruns, mit welchem die kulturelle Identität des Landes vielleicht neu gestiftet werden kann. Wie nach solchen interkulturellen und interkontinentalen Verletzungen neue Wege des Miteinanders auf diesem Planeten Erde gefunden und implementiert werden können, bleibt offen. Deutschland, als Land der Wissenschaft, der Philosophie, der Menschenrechte hat mit dem Kolonialismus schon vor den Naziverbrechen große Schuld auf sich geladen.
 
Atlas der Abwesenheit. Kameruns Kulturerbe in Deutschland.
© 2023 Dietrich Reimer Verlag, 520 Seiten,  110 Abb. und 51 Karten (Abb. mit freundlicher Genehmigung des Verlages), 22 × 25 cm, Klappenbroschur mit freiem Rücken, Fadenheftung, Register   -  ISBN: 978-3-496-01700-4
49,- €
Für das Autorenkollektiv: Andrea Meyer und Bénédicte Savoy (Koord.), publiziert bei Universität Heidelberg/Universitätsbibliothek © Verfasser. Die Publikation ist im Rahmen des Projektes „Umgekehrte Sammlungsgeschichte. Kunst und Kultur aus Kamerun in deutschen Museen“ der Deutschen Forschungsgemeinschaft entstanden. Projektleitung Prof. Dr. A. Gouaffo und Prof. Dr. B. Savoy  - Universitäté de Dschang u. TU Berlin)

Weitere Informationen: www.reimer-mann-verlag.de/reimer/